Warum naturbasierte Lösungen die Klimakrise nicht lösen werden – sie werden die Reichen nur noch reicher machen

Baka aus Messok Dja (Kongo). Sie pflegen den Wald seit Generationen und sind die besten Hüter der Natur. Aber der WWF hat Parkranger finanziert, die brutale Gräueltaten an den Baka begangen haben. © Fiore Longo/Survival. 

Stell dir vor, du bist ein Baka, ein Jäger und Sammler aus dem Kongobeckens. Dieses Land ist seit Generationen dein Zuhause. Du kennst jeden Stein und jeden Baum. Deine Großeltern sind auf diesem Land begraben. Sie und dein indigenes Volk haben es gehegt und gepflegt - sie lieben es. Stelle dir nun vor, dein Haus wird zerstört und du sollst verschwinden, weil – wie dir jemand erklärt – ein weißer Mann, der sehr weit weg wohnt, der Meinung ist, dass dein Wald ein Schutzgebiet werden muss, in dem nur Elefanten leben dürfen. Er mag Elefanten, heißt es. Weiße Männer mögen Elefanten. Anscheinend ist er in den Weltraum geflogen und hat festgestellt, dass er euren Wald mag und sich um den Klimawandel Sorgen macht. Dieser Mann hat ein Unternehmen gegründet, das im vergangenen Jahr 60,64 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen hat – das entspricht der Verbrennung von 140 Millionen Barrel Öl. Aber – so sagt man dir – wenn dein Wald geschützt wird, kann er sich wegen seiner CO2-Emissionen besser fühlen. Du fragst dich, warum er nicht seine Emissionen einschränkt, anstatt dein Leben zu zerstören. Die Antwort ist Geld. Du fragst dich vielleicht auch, wie jemand glauben kann, dass er damit etwas Gutes tut. Und die Antwort darauf ist das Thema dieses Artikels.

Mit dem Anwachsen der Klimabewegung und der Beschleunigung der globalen Erwärmung ist die Klimakrise für die meisten zur Tatsache geworden. Und dennoch steigen die Emissionen weiter an. Anstatt sich der Krise zu stellen, rufen Regierungen, Unternehmen und große Naturschutz-NGOs den Finanzsektor um Hilfe, verstecken ihre Untätigkeit und betrügen die Bürger*innen mit gefährlichen und falschen Slogans wie „nature positive“, „naturbasierte Lösungen“ und „klimaneutral“. Diese sogenannten „Lösungen“ sind überwiegend leere Versprechungen, die zu massiven Verletzungen der Rechte indigener Völker führen und die Klimakrise nicht lösen werden. Sie lenken die Aufmerksamkeit von den wahren Ursachen der Umweltzerstörung und des Klimawandels ab und verschleiern die eigentlichen Verantwortlichen – all das auf Kosten der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften, die am wenigsten Schuld an alledem tragen und am stärksten von den Folgen betroffen sind.

Was sind „naturbasierte Lösungen“?

Der Name klingt gut, nicht wahr? Das Konzept tauchte zum ersten Mal 2009 in einem Papier der IUCN für die globalen Klimaverhandlungen auf und wurde von großen Naturschutzorganisationen als „die vergessene Lösung“ für den Klimawandel bezeichnet. Die Idee ist ganz einfach: Die Natur birgt die Lösungen für unsere verschiedenen Umweltkrisen. Im Falle des Klimawandels können wir ihn abmildern, indem wir mehr Emissionen aus natürlichen Ökosystemen und landwirtschaftlich genutzten Flächen vermeiden (d. h. mehr Naturschutzgebiete schaffen) oder die Kapazität der Kohlenstoffbindung in ihnen erhöhen (d. h. Bäume pflanzen oder Wälder aufforsten). Hier ist sie: eine magische Lösung, die nicht von bedeutenden Anstrengungen durch die großen Volkswirtschaften und ihren wichtigsten Industrien abhängt.

In den globalen Debatten über Klima und biologische Vielfalt wird zunehmend die Behauptung aufgestellt, dass 30 % der globalen Klimaschutz-Ziele mittels „naturbasierter Lösungen“ erreicht werden können.

Das eigentliche Problem beginnt, wenn „naturbasierte Lösungen“ als der beste Weg zur Bewältigung der Klimakrise dargestellt werden. Sie bieten eine vermeintlich einfache Lösung, die uns erlaubt, weiterhin fossile Brennstoffe zu verheizen und unser Konsumverhalten beizubehalten – die eigentlichen Probleme, die für die Klimakrise verantwortlich sind. Doch je größer das erforderliche Ausmaß von „naturbasierten Lösungen“ wird, desto wahrscheinlicher werden verheerende Folgen für indigene Völker und andere lokale Gemeinschaften.

Hinter dem eingängigen Namen versteckt sich ein bekannter (und nicht sehr neuer!) marktorientierter Ansatz. In der Praxis sind „naturbasierte Lösungen“ eine Variante dessen, was man früher als Emissionshandel bezeichnete. Die „Natur“ wird in diesem Zusammenhang als Kapital oder Vermögenswert betrachtet. Wir können ihr einen Preis geben und mit ihr Geschäfte machen. Nehmen wir an, dass Shell (einer der großen Befürworter von „naturbasierten Lösungen“) eine Menge X an CO2 in die Atmosphäre ausstößt. Um behaupten zu können, dass der Konzern seine Klimaverpflichtungen einhält, kann Shell weiterhin genau die gleiche Menge CO2 ausstoßen, solange er gleichzeitig die Errichtung eines Schutzgebiets unterstützt, das die gleiche Menge CO2 speichert oder Bäume pflanzt, die die gleiche Menge CO2 aufnehmen sollen. Dieser Handel findet natürlich auf den Finanzmärkten statt, durch die Schaffung von Emissionsgutschriften. Und das ist es, was Regierungen mit „klimaneutral“ meinen: Sie haben nicht wirklich die Absicht, ihre Emissionen auf null zu reduzieren, sondern behaupten einfach, diese Emissionen an anderer Stelle „auszugleichen“. 

Die Umwandlung der Natur in eine Form von Kapital (in diesem Fall in Form von CO2-Gutschriften), das dann auf dem Markt verkauft werden kann, ist gerade so in Mode, dass sie sogar von dem Naturschützer und Fernsehstar Sir David Attenborough unterstützt wird. 

Was ist also falsch daran?

Aus einer Gerechtigkeitsperspektive: alles.

Laut der Studie, die von Befürworter*innen von „naturbasierten Lösungen“ als Minderungslösung am häufigsten als Beweis herangezogen wird, (sie wurde 2017 veröffentlicht, zu den Co-Autor*innen gehören Emissionshändler*innen und Vertreter*innen einer großen Naturschutzorganisation), können „naturbasierte Lösungen“ „37 % der bis 2030 benötigten kosteneffizienten CO2-Minderung liefern“. Diese Zahl wurde in verschiedenen Formen („37 %“, „ein Drittel“, „mehr als ein Drittel“ usw.) immer wieder wiederholt und gewinnt durch die Wiederholung an Plausibilität. 

Aber was bedeutet diese Zahl eigentlich?

Die effektivste bekannte Methode, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu ziehen, ist das Pflanzen von Bäumen. Nach Schätzungen aus dem Jahr 2017 macht die Aufforstung fast die Hälfte des Potenzials durch „naturbasierte Lösungen“ für den Klimaschutz aus. Um dieses Potenzial zu erreichen, müssten jedoch Bäume auf einer geschätzten Fläche von fast 700 Millionen Hektar gepflanzt werden, was fast der Größe Australiens entspricht. Wo soll diese Fläche zu finden sein? Sicherlich nicht in Frankreich oder dem Vereinigten Königreich (die zu den Befürwortern von „naturbasierten Lösungen“ gehören). Es besteht daher eindeutig die Gefahr, dass viele indigene Völker und lokale Gemeinschaften, die am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich sind, ihr Land verlieren.

Amarlal Baiga, ein Angehöriger der Baiga, erklärt, wie sich die Aufforstung zum Zwecke der Kompensation auf seine Gemeinschaft auswirkt. In diesem Fall handelt es sich um einen Biodiversitätsausgleich, aber der Prozess und die verheerenden Folgen sind die gleichen. „Hier hat die Behörde für Waldangelegenheiten gewaltsam Zäune um mein Feld und um die Felder aller anderen aufgestellt. Sie haben Zäune errichtet und Teakbäume gepflanzt. Dieses Land gehört uns, dieses Land gehörte unseren Vorfahren. Sie zwangen uns, die Bäume zu pflanzen, sie haben uns für dumm verkauft, indem sie sagten: ‚Diese Pflanzen werden euch nützen‘, aber jetzt schikanieren sie uns und sagen: ‚Dieses Land gehört euch nicht mehr‘.“ 

Sein Dorf wurde im Rahmen eines Kompensations-Aufforstungsprojekts enteignet.
Wenn in Indien Wälder z. B. für den Bergbau zerstört werden, müssen die verantwortlichen Unternehmen Geld in den CAMPA-Fond einzahlen, dessen Mittel für Aufforstungsprojekte verwendet werden – aber die artenreichen Wälder werden in der Regel durch Monokulturen ersetzt, oft auf dem Land der Adivasi. 

Eine weitere stark geförderte „naturbasierte Lösung“ – neben der Aufforstung – ist die Schaffung von sogenannten Naturschutzgebieten. Die neue Biodiversitätsinitiative der EU-Kommission mit dem Namen NaturAfrica betrachtet Naturschutzgebiete als massive Kohlenstoffsenke, die „interessante Möglichkeiten zur Erzielung von Einkünften für Gemeinden durch Emissionsgutschriften bieten kann“. 

Aber auch dies ist eine große Bedrohung für indigene Völker. Mehrere Menschenrechtsorganisationen sowie unabhängige Untersuchungen zeigen seit Jahren, wie die Einrichtung von Schutzgebieten – insbesondere in Afrika und Asien – ohne die Zustimmung der indigenen oder lokalen Gemeinschaften erfolgt, die dadurch den vollständigen Zugang zu ihrem angestammten Land verlieren und von zunehmender Militarisierung und Gewalt betroffen sind. Schutzgebiete zerstören die besten Hüter der Natur, die indigenen Völker, auf deren Land 80 % der weltweiten Biodiversität zu finden ist.

Es ist absurd, dass ein Jäger und Sammler im Kongobecken, dessen Lebensweise diese Wälder gepflegt, geprägt und geschützt hat, seinen Zugang zu dem Land und den Nahrungsquellen, die ihn ernähren, verliert. Oder er von einem Parkranger gefoltert und misshandelt wird, weil auf der anderen Seite der Welt ein reicher weißer Mann, dessen Unternehmen ein massiver Umweltverschmutzer ist, glaubt, er könne seine Emissionen durch die Errichtung eines Schutzgebiets im Kongo kompensieren – anstatt die Ausbeutung von Arbeiter*innen einzustellen, Steuern zu zahlen und die Reduzierung von Emissionen ernsthaft anzugehen.

Natürlich finden nicht nur Milliardäre diese Idee gut. Die Naturschutzindustrie treibt „naturbasierte Lösungen“ voran, weil sie mit dem Verkauf von Emissionsgutschriften aus den von ihr verwalteten Schutzgebieten riesige Summen verdienen kann, um neue Schutzgebiete zu finanzieren (und die Millionengehälter ihrer Vorstände zu bezahlen).

Am Ende der Geschichte werden also indigene Völker, Kleinbäuer*innen und lokale Gemeinschaften ihr Land durch eine Klimakrise verlieren, die sie nicht verursacht haben.

Aber wird uns das alles vor den schlimmsten Folgen des Klimawandels bewahren?

Ganz und gar nicht. 

Erstens werden durch diese Baumprojekte, die als Weg zur Abschwächung des Klimawandels angepriesen werden, oftmals schnell wachsende Bäume wie Eukalyptus und Akazien gepflanzt, um Geld zu verdienen. Dies kann den Ausstoß von Kohlenstoff tatsächlich erhöhen, anstatt ihn zu verringern: Die bestehende Vegetation muss gerodet werden und die neuen Plantagen sind anfälliger für Brände. Die meisten dieser Plantagen werden in wenigen Jahren abgeerntet, um daraus Papier und Holzkohle herzustellen, wodurch der gesamte gebundene Kohlenstoff schnell wieder in die Atmosphäre gelangt. Echte Wälder mit einheimischen Bäumen müssten erst jahrzehntelang wachsen, bevor sie Kohlenstoff absorbieren können. Und schließlich zerstören großflächige Baumplantagen die biologische Vielfalt und das Land der indigenen Völker. 

Zweitens wird der Plan, 30 % der Erdoberfläche als Schutzgebiete auszuweisen, ebenfalls als Mittel zur Eindämmung des Klimawandels dargestellt. Doch abgesehen von den katastrophalen Auswirkungen auf die menschliche Vielfalt gibt es keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass die Verdoppelung der Fläche der Schutzgebiete tatsächlich der Natur zugutekommt. Alternativ: Von den 20 Zielen des letzten globalen Aktionsplans zur biologischen Vielfalt für den Zeitraum 2010-2020 wurde nur ein Ziel erreicht: die als Schutzgebiete ausgewiesene Fläche der Erde auf 17 % zu erhöhen.

Die Naturschutzindustrie selbst muss jedoch eingestehen, dass die biologische Vielfalt im gleichen Zeitraum immer schneller zurückgegangen ist. Die Einrichtung weiterer Schutzgebiete ist also nicht die Lösung! Eine Studie aus dem Jahr 2019, in der mehr als 12.000 Schutzgebiete in 152 Ländern untersucht wurden, ergab, dass diese Schutzgebiete in den letzten 15 Jahren – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – nicht zur Verringerung des menschlichen Drucks auf die Artenvielfalt beigetragen haben. In vielen hat sich der Druck im Vergleich zu ungeschützten Gebieten sogar noch verschlimmert. Viele Schutzgebiete laden zum Massentourismus ein und unterstützen in einigen Fällen sogar die Trophäenjagd, den Holzeinschlag und den Bergbau.

Zu guter Letzt hat die Finanzindustrie noch nie eines der Menschheitsprobleme gelöst und wird es auch dieses Mal nicht tun. Wenn wir es dem Markt überlassen zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht, je nach „wirtschaftlichem Wert“, wird es sich voraussichtlich als katastrophal erweisen. Ist ein indigenes Gebiet, ein Wald oder eine Steppe nur wegen des dort gespeicherten Kohlenstoffs schützenswert? Was ist mit den Menschen, die in diesem Gebiet leben und der nicht quantifizierbaren Vielfalt, die sie darstellen?

Gerade die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen für den Profit und die Kommerzialisierung der Natur haben uns hierhergebracht. Erinnerung: Die Finanzindustrie will Geld verdienen, nicht unseren Planeten schützen. 

Wie der CEO von Mirova, einer Investmentgesellschaft, deutlich sagte: „Es ist einfach, unsere Auswirkungen auf das Klima abzuschätzen. Die Auswirkungen auf den Kohlenstoff, Tonnen von CO2-Äquivalenten ... All das spricht die Finanzwelt an und kommt ihrer Logik entgegen. Wenn wir anfangen, über Entwaldung oder die Zerstörung von Ökosystemen zu diskutieren, ist das viel komplizierter, weil es keine Indikatoren oder sogar internationale Standards gibt, um diese Auswirkungen zu messen.“

Ein weiterer Beweis dafür, dass es hier um Geld (und nicht um die Natur) geht, ist die Tatsache, dass „naturbasierte Lösungen“ von den größten und umweltschädlichsten Unternehmen der Welt und von der Naturschutzindustrie unterstützt und umgesetzt werden, um die drastischen Veränderungen zu vermeiden, die zur Bewältigung der Klimakrise wirklich notwendig sind. Zu den Befürwortern von „naturbasierten Lösungen“ gehören: Nestlé, BP, Chevron, Equinor, Total, Shell, Eni, BHP, Dow Chemical Company, Bayer, Boeing, Microsoft, Novartis, Olam, Coca-Cola, Danone, Unilever, etc.

Lügen unsere Regierungen und Großunternehmen also, wenn sie behaupten, sie würden „handeln“, um der Klimakrise ein Ende zu setzen?

Ja. Die Idee des Kompensationsausgleich hat bereits dabei versagt, den Klimawandel zu verhindern. Eine massive Ausweitung dieser Systeme mit „naturbasierten Lösungen“ wird erst recht scheitern. Kompensationsprogramme wie „naturbasierte Lösungen“ sollten aufgegeben werden – stattdessen sollten die Regierungen klare Vorschriften für Unternehmen und Finanzen einführen, um die wahren Ursachen der Umweltzerstörung zu bekämpfen: die Ausbeutung natürlicher Ressourcen aus Profitgründen und der wachsende Überkonsum, angetrieben durch den globalen Norden. Wir müssen unser Denken dekolonisieren und aufhören, indigene Völker und andere lokale Gemeinschaften, die unseren Planeten seit Generationen schützen, an den gesellschaftlichen Rand zu drängen und zum Schweigen zu bringen. Um dies zu erreichen, müssen die Regierungen die Rechte indigenen Völker und anderer lokaler Gemeinschaften auf ihr Land respektieren, schützen und vollständig anerkennen. Schließlich brauchen wir einen radikalen Wandel unserer Wirtschaftsstruktur und unserer Lebensweise. Nur wenn diese Themen auf den Tisch kommen, wird es echte und gerechte Lösungen geben, um den Klimawandel aufzuhalten. Bisher haben die Staats- und Regierungschefs, die Naturschutz-NGOs, die Wirtschaft und einige Klimabewegungen im Globalen Norden versäumt, dies zu tun. 

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch in Common Dreams im Oktober 2021.

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